Familienmitglieder sind füreinander da, unterstützen sich bei der gegenseitigen Entwicklung und freuen sich an gemeinsamen Aktivitäten – so zumindest die Theorie. Natürlich findet sich dieser Typ Familie auch in der Praxis immer wieder. Die Sprache der Mediation benennt diese Situation als „Win-Win“, wobei im Einzelfall neu zu bewerten ist, was konkret dies bedeutet. Für den einen ist es Freiheit, der andere braucht mehr Geborgenheit oder gar Halt, um sich in einer Familie wohl zu fühlen. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass selbst bei gleichbleibenden Akteuren eine diesbezügliche Beurteilung im Zeitverlauf ganz andere Ergebnisse bringen kann.
- Klüver, Nathalie (Autor)
- 168 Seiten - 08/07/2019 (Veröffentlichungsdatum) - TRIAS (Herausgeber)
In turbulenteren Zeiten kann es schwierig werden, „Win-Win“ zu suchen oder gar zu realisieren. Einzelne Mitglieder dieses Familientyps beschäftigen sich dann häufig damit, MEHR zu bekommen als andere. Das kann mehr finanzieller Unterhalt für das eigene Leben oder jener gemeinsamer Kinder sein. Im Fall strittiger Scheidungs-, Trennungs- oder Erbschaftsverfahren spielt auch die Aufteilung eines vorhandenen Vermögens eine große Rolle. Besonders kritisch wird es dann, wenn Eltern über Aufenthalt-, Besuchs- oder Kontaktrechte ihrer Kinder streiten. Nicht selten ist die Klärung dieser Fragen auch mit finanziellen Folgen verbunden – dann hängen üblicherweise Existenzen von diesen Entscheidungen ab. Selbst Urteile der besten und wohlmeinendsten Experten können hier maximal „Win-Lose“ Szenarien bieten, erklärt Dr. Elvira Hauska. Diese Phänomene treten in der Regel dann auf, wenn das Zusprechen ‚des Rechts‘ zu einem zwangsläufigen Unrecht eines anderen Familienmitglieds führt. Im Extremfall verlieren alle Familienmitglieder dabei – die Fachsprache bezeichnet das als „Lose-Lose“.
Mediation strebt definitionsgemäß „Win-Win“ an, wobei wahrscheinlich das wichtigste Element dabei das Ausformulieren dessen ist, was eine Familie darunter versteht. Mediation für Fortgeschrittene bezieht in dieses Bestreben auch das Umfeld der Familie ein – was häufig zu noch mehr Verwirrung führt. Wie kann es sein, dass alle gewinnen können? Zu stark verankert ist in der westlichen Gesellschaft der Glaube, dass Gewinnen immer mit einem Verlust zusammenhängt. Und wenn schon jemand verlieren muss, dann wenigsten die anderen, oder? Dabei sind es gerade Werte wie Freude, Rücksichtnahme oder Verantwortung, die sich jedenfalls vermehren, wenn sie von vielen kultiviert werden. Das bedeutet, dass alle Beteiligten sich dem Ziel widmen, beispielsweise mehr schöne gemeinsame Momente zu erleben. Selbstverständlich wird es nicht immer gelingen. Manchmal wird vielleicht auch die Lust daran fehlen, das überhaupt in Erwägung zu ziehen. Doch möglicherweise macht gerade das den Unterschied zwischen Familien, die sich gegenseitig Vertrauen und Sicherheit schenken und jenen, die dies bewusst verabsäumen.
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