Die ersten Beschwerden waren nicht besorgniserregend. Philipp litt unter Kopfschmerzen und Magen-Darm-Beschwerden. Eine Woche ging er nicht zur Schule, lag meistens im Bett. Er wirkte bedrückt. Das war wohl nicht ungewöhnlich, immerhin war er krank. Aber wieso zog er sich auch später noch so oft in sein Zimmer zurück? Wieso wurden die Noten immer schlechter? Und warum hatte er Interesse mehr am Fußballtraining? Auch mit seinen Freunden traf er sich immer seltener. Seine Eltern machten sich Sorgen. Wenn sie darüber nachdachten: hatte sich ihr Sohn nicht schon in den letzten Monaten verändert? War er nicht immer schweigsamer geworden und konnte sich an nichts mehr so richtig freuen? Sie hatten immer gedacht, dass diese Stimmungsschwankungen und der Rückzug bei einem 16-jährigen normal seien.
- Groen, Gunter (Autor)
- 160 Seiten - 07/22/2019 (Veröffentlichungsdatum) - Hogrefe AG (Herausgeber)
Nun, da hatten Philipp Eltern gar nicht so Unrecht. Gerade diese eher unspezifischen Symptome sind es, die Depressionen bei Kindern und Jugendlichen oft erst spät erkennen lassen. Es ist noch gar nicht so lange her, da dachte man, in diesem Alter gäbe es überhaupt keine depressiven Erkrankungen. Später ging man davon aus, dass Kinder eher unter einer sogenannten „maskierten“ Depression leiden, die sich im Wesentlichen in körperlichen Symptomen ausdrückt.
Heute wissen wir, dass auch schon jüngere Kinder die typischen Kernsymptome der depressiven Grundstimmung zeigen können: Freudlosigkeit, niedriges Selbstwertgefühl und vegetative Symptome wie Schlaf- und Appetitstörungen. Zusätzlich kommt es oft zu sozialem Rückzug, aggressivem Verhalten oder Schulverweigerung.
Je nach Alter und Entwicklungsstand des Kindes/ Jugendlichen zeigt sich die Depression in unterschiedlichem Gewand. So zeigen Kleinkinder bis etwa 3 Jahren neben der typischen Traurigkeit ein auffälliges Spielverhalten oder Spielunlust, mangelnde Phantasie, Schlafstörungen oder ein gestörtes Essverhalten. Oft wirkt ihre Mimik ausdrucksarm und es kommt zu Selbststimulationen wie andauerndes Daumenlutschen.
Schon Vorschulkinder wirken in ihrer Stimmung sehr labil, können sich nicht mehr richtig freuen, zeigen wenig Interesse an Bewegungsspielen und ziehen sich zurück. Auch sie zeigen wenig gestischen und mimischen Ausdruck, wirken traurig, leiden unter Ess- und Schlafstörungen.
Demgegenüber können Schulkinder ihre Traurigkeit bereits deutlicher in Worte fassen. Es treten Selbstmordgedanken auf. Und in der Schule kommt es zu Leistungseinbrüchen.
Die depressive Symptomatik des Jugendalters ähnelt eher der des Erwachsenenalters. Die betroffenen Jugendlichen können sich kaum mehr über Dinge freuen, die sie zuvor noch gerne gemacht haben, sie haben ein geringes Selbstvertrauen, psychosomatische Beschwerden, Ängste oder Konzentrationsstörungen. Auch hier kommt es zu Leistungseinbrüchen in der Schule.
Während sich Studien zufolge bis zu 10% der Kinder und 40% der Jugendlichen selbst als unglücklich bezeichnen, kann bei etwa 1% der Vorschulkinder, bei 2% der Schulkinder und bei 5% der Jugendlichen von einer behandlungsbedürftigen Depression ausgegangen werden. Das heißt, dass jeder zwanzigste Jugendliche bis zum Erwachsenenalter einmal an einer Depression erkrankt. Dabei leiden die meisten von ihnen unter Selbstmordgedanken. Bei jedem Siebten führt die Erkrankung zum Tod durch Suizid.
Oft treten Depressionen auch in Zusammenhang oder in Folge anderer Erkrankungen auf wie Traumafolgestörungen, Bulimie, Magersucht, Angst- und Zwangsstörungen oder Persönlichkeitsstörungen, aber auch bei AD(H)S, Autismus, Störungen des Sozialverhaltens, Entwicklungsstörungen, Schizophrenie, Drogen- und Alkoholmissbrauch, hirnorganischen Erkrankungen und chronischen körperlichen Erkrankungen. Je nach Art der Depression kann die Dauer zwischen wenigen Wochen und mehreren Jahren liegen.
Weitere Informationen, auch zu anderen psychischen Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters, finden sie unter www.praxis-schmidt-bucher.de.
Warum werden Kinder und Jugendliche depressiv?
In der Regel gibt es nicht die eine Ursache. Es kommen mehrere Faktoren zusammen.
In Gesprächen mit einem Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten wird Philipps Eltern bewusst, dass ihr Sohn schon oft zu einer pessimistischen Sicht geneigt hat. Ging etwas schief, gab er sich stets selbst die Schuld dafür. Hatte er hingegen Erfolge, so vertrat die Ansicht, dass sei „doch nichts gewesen“, „dass war doch nicht so schwer“. Gute Noten in der Schule lagen aus seiner Sicht daran, dass die Aufgaben halt zu leicht waren. Bei schlechten Noten hielt er sich für dumm und faul. Vor einem halben Jahr war seine Oma gestorben, an der ganz besonders hing. Und dabei schien es anfangs so, als würde ihm das gar nicht so viel ausmachen.
Bei ¾ der Patienten wirken kritische Lebensereignisse als Auslöser einer Depression. Gerade der Tod eines nahestehenden Menschen ist natürlich ein tiefer Einschnitt in unser Leben. Traurigkeit und Rückzug sind dabei zunächst einmal durchaus normale, gesunde Reaktionen. Und nicht bei Jedem führen Lebenskrisen zur Ausbildung einer depressiven Erkrankung. Die Depression wird umso wahrscheinlicher, je jeher der Betroffene schon zuvor dazu geneigt hat, sich dem Leben hilflos ausgeliefert zu fühlen, keine Kontrolle über sein Leben zu haben. Menschen, die – wie Philipp – sich Misserfolge selbst, Erfolge jedoch anderen oder den äußeren Umständen zuschreiben, sind ebenfalls gefährdeter. Sie glauben zudem, dass die Misserfolge stabil sind, dass sie ihnen immer und auch in völlig anderen Situationen widerfahren. Sie haben vielleicht oft erlebt, für Fehlverhalten bestraft statt für positives Verhalten belohnt zu werden. Und sie haben bestimmte gedankliche Muster entwickelt, mit denen sie sich selbst, ihr Verhalten, die Anderen und die Welt im Allgemeinen betrachten. Besonders häufig finden wir bei diesen Kindern Katastrophisierungen („wenn ich diese Klassenarbeit verhaue, dann kann ich das Schuljahr gleich ganz vergessen, was soll dann nur aus mir werden“), Mussdenken („ich muss das jetzt hinkriegen, ich halte es nicht aus, wenn es nicht klappt“) und eine allgemeine Abwertung der eigenen und anderer Personen.
Kommen, wie bereits erwähnt, andere psychische Belastungen hinzu, dann erhöht sich das Risiko für eine Depression. Weitere Informationen zu dieser Erkrankung sowie Therapiemöglichkeiten unter www.psychotherapie-graz.info.
Auch genetische Faktoren spielen eine Rolle, ebenso wie Besonderheiten der Neurotransmittersysteme. So geht eine Depression zum Beispiel mit einem Mangel an Serotonin im Gehirn einher. Unklar ist jedoch, ob der Serotoninmangel damit auch zugleich die Ursache einer Depression ist.
Was können Eltern tun, wenn sie den Verdacht haben, dass ihr Kind unter einer Depression leidet?
Zunächst empfiehlt sich eine genauere diagnostische Abklärung, etwa in der Praxis eines auf die Behandlung von Kindern und Jugendlichen spezialisierten Psychotherapeuten oder bei einem Kinder- und Jugendpsychiater. Auch in Beratungsstellen finden die Eltern kompetente Ansprechpartner.
In der Schweiz finden Sie bei www.birnbaum.ch psychologische Beratung.
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